Montag, 23. Mai 2011

Wiedersehen


Das letzte Mal als wir uns gesehen haben waren wir vier oder fünf. Damals haben wir jeden Tag zusammen gespielt. Ich war wie verrückt in sie verliebt. Jetzt seh ich sie wieder. Nach fünfzehn Jahren darf ich sie wieder sehen. Sie hat mir ein Foto geschickt. Ich muss zugeben, sie sieht in echt noch besser aus. Ich betrachte sie durch die grossen Scheiben. Sie hat mich noch nicht erkannt. Ich nehme meine Tasche und gehe auf sie zu. Sie hat mich endlich erblickt und springt auf mich zu. Sie klammert ihre Beine um meine Hüften und küsst mich auf die Backe. Sie will wissen wie’s mir geht, ob ich Hunger habe und ob die Reise nicht zu schlimm war. „Ich habe ziemlich Hunger, sonst geht es mir gut und den Rest erzähl ich dir später“
„Ach entschuldige mich, ich bin einfach unglaublich aufgeregt, dass du da bist. Endlich habens wir geschafft. Wie lange ists jetzt her?“, sie läuft zielstrebig auf einen Jeep zu, indem ein blonder Typ mit Poloshirt sitzt. Sie küsst ihn auf den Mund und sagt ich solle doch einstiegen. Während der Fahrt erfahr ich, dass Oskar und Emma sich schon seit fünf Jahren kennen.

Beim Kochen sind Oskar und Emma unerträglich. Sie lachen die ganze Zeit, und er kneift alle 10 Minuten Emma in den Po. Ich habe mir das anders vorgestellt. Ich habe ja erwartet, dass sie einen Freund hat, aber ich dachte, dass wir den ersten Abend alleine verbringen würden. Doch Emma brauchte schon früher immer viele Leute um sich. Bloss nicht eine Sekunde alleine sein. Nach einer Flasche Wein klopts an der Tür. Emma macht auf und schon wieder erscheint ein gut aussehender Typ, dem sie auf den Mund küsst. Der Typ geht auf den blondhaarigen Typen mit dem Poloshirt zu und gibt ihm einen langen Zungenkuss.

Nach dem Abendessen gehen Raul und James, und ich bleibe alleine mit ihr sitzen. Ich geniesse es. Wir sind beide schon ziemlich angetrunken, als ich mich getraue, sie zu fragen, ob sie einen Freund hat. Sie sagt, sie habe nur Freunde, keine Freundinnen. Aber einen Freund habe sie nicht, sie war noch nie verliebt. Sie sagt, sie sieht junge Männer nicht so wie andere Mädchen. Sie findet Männer nicht faszinierend oder mysteriös. „Ja, sexy können sie sein. Aber sonst..“  Sie ist faszinierend. Ich kenne keine, die so ist, so wie sie. Sie beginnt zu lachen und will wissen, wie viele Freundinnen ich hatte. „Warte, lass mich raten! Du bist ein elender Romantiker, das heisst du warst schon recht alt beim ersten Mal. Du hast auf die Richtige gewartet. Ok, du warst 16 beim ersten Mal, dann warst du zwei Jahre mit ihr zusammen. Und seither hattest du nur noch was mit Unbedeuteten, in keine hast du dich verliebt. Hab ich Recht?“ Ja klar, hat sie Recht. „Na ja, nicht ganz. Aber lassen wir das. Ich will gar nicht wissen wie viele Typen du um dich hattest in all den Jahren und wie viele sich unsterblich in dich verliebt haben.“ Sie schaut mich von der Seite an und rollt mit den Augen. „In mich verliebt sich keiner. Ich bin der Kumpeltyp, mit mir hat man’s lustig und ich mach bei jedem Scheiss mit, aber ich bin kein girlfriend.“ Am liebsten würde ich ihr sagen, dass ich mich in sie verlieben könnte, doch ich sage „Hm...“ Sie setzt sich neben mich aufs Sofa und legt ihren Kopf auf meine Schulter. Die eine Hand legt sie auf meinen linken Oberschenkel und mit der anderen fährt sie mir durch die Haare. Ich muss etwas tun. Ich will sie. Sie will mich. Ich muss den Schritt machen. Sie würde es nicht tun, sie ist zu stolz.

Wir sitzen schon zehn Minuten auf dem Sofa und reden nicht. Was soll ich tun? Ich will etwas tun. Aber es geht nicht, nicht bei ihr. „Haa, ich bin müde, gehen wir schlafen“ Jetzt hab ich die Gelegenheit verpasst. Sie will schlafen gehen, verdammt! „OK, wo schlaf ich?“
„Du kannst in meinem Bett schlafen, ich schlafe auf der Couch.“
„Bist du sicher? Ich kann hier schlafen, wirklich!“
„Nein, schon gut. Ich schlaf eh nicht oft in meinem Bett.“

Seit zwei Stunden liege ich in ihrem Bett und starre an die Decke. Wie hat sie das gemeint, sie schläft nicht oft in ihrem Bett? Hat sie doch einen Freund? Oder steht sie auf Frauen? Oh nein, sie steht auf Frauen. Aber warum hat sie mich dann den ganzen Abend so angeschaut und berührt? In dem Moment öffnet sich die Türe. Sie tritt ins Zimmer, ich schliesse die Augen. „Tschuldigung, bist du noch wach?“ Etwas zu schnell antworte ich „JA!“ Sie lächelt. Sie zeigt aufs Bett und fragt „darf ich?“ Klar darf sie. Wenn jemand darf, dann sie. Sie trägt ein knappes weisses Tshirt, das ihr bis über den Po reicht. Sie rutscht nah an mich heran und ich spüre ihre glatten, kühlen Beine. „Ich kann nicht alleine schlafen. Ich weiss, ich sollte es lernen, aber seit dem Tod meiner Mutter will ich in der Nacht nicht mehr alleine sein.“  Ich streichle ihren Arm und sage, dass es verständlich sei. Sie sieht mir in die Augen und eine Träne läuft ihr übers Gesicht. Ich nehme ihr Kinn in meine Hand und ziehe ihr Gesicht näher zu meinem. Sie streicht die Träne weg und küsst mich. Sie küsst  mich sanft auf den Mund. Ihre vollen Lippen federn auf meinen angenehm ab.

Wir reden. Schon seit Stunden. Sie ist wie früher. Sie hat keine Ahnung, was sie für eine Wirkung auf mich hat. Mir geht es gut. Ich fühle mich wohl. Sie gefällt mir, richtig gut sogar. Gefalle ich ihr auch? Sie fragt, was ich denke. „Ehm, sorry, ich habe gerade nicht zugehört.“
„Ach, immer noch wie früher. Die Hälfte deines Lebens spielt sich bei dir im Kopf ab, stimmts?“ Sie drückt mir einen Kuss auf den Hals.
„Ja, das ist wohl so. Ehrlich gesagt ziemlich unpraktisch.“
„Kann sein, aber es ist, was dich ausmacht.“
„Mhm. Sag mal, willst du keine Beziehung oder ist dir keiner gut genug?“
„Keines von beiden. Ich hab mich noch nie verliebt. Und die Männer, die ich zu Teenagerzeiten begehrt habe waren nicht nett. Allesamt Arschlöcher.“
Ich möchte nicht wissen, ob ich ein Arschloch bin, darum küsse ich sie. Ich will sie.

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